Textania/Sabine Schönberg hat in ihrem Blog Kaffeepause eine, wie ich finde, sehr schöne Blogparade gestartet: Zwischen dem 25.10. und 21.11. 2010 läutet sie den Lese-Herbst ein und sucht dafür noch Buchtipps, Buchempfehlungen - schlicht Bücher, die man lesen sollte.
Gerade in Zürich weilend und keinen Zugriff auf die eigenen Buchbestände habend, griff ich unbeschwert auf die Bibliothek des wunderbarsten Mannes von Welt zu. Thomas Whartons Der Klang des Schnees fiel mir zufällig in die Hand.
© Pierino Cerliani |
Zugegeben das Cover sprach mich nicht wirklich an. Ich habe keine Verbindung zu (romantisch anmutenden) Engeln und auch Winter, Schnee und Wintersport sind mir recht fremd. Selbst die Zeilen auf der Rückseite des Buches stießen mich eher ab, heißt es dort doch:
Als er, gefangen in einer Gletscherspalte, zwischen Leben und Tod schwebt, erblickt Edward Byrnes im sonnendurchschienenen Eis einen Engel - eine Vision, die ihn auch nach seiner Rettung noch völlig gefangennimmt. Immer wieder zieht es ihn zurück in die wilde Landschaft der kanadischen Rockies, wo sich der Unfall ereignete und wo er hofft, dem Gletscher sein Geheimnis zu entringen ...
Recht hochtrabende Worte und meine Frage, ob mich nun ein Abenteuerbericht erwarten würde oder eine esoterische Erzählung, die mich langweilen würde? Kurzentschlossen schlug ich Der Klang des Schnees auf und begann zu lesen.
Wir landen Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang des 20. Jahrhunderts. Grob umrissen ist der Arzt Edward Byrnes der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte. Seine Geschichte, sein Leben, seine Gedanken bilden die Basis. Er fällt mit seiner Botanisiertrommel (ein amüsantes Detail) in eine Gletscherspalte der kanadischen Rockies, wird gerettet und verbringt den Großteil seiner Genesung in der spartanischen Holzhütte von Sara, die immer wieder in der Geschichte auftaucht, spannende Details beiträgt und selbst eine teils mysteriöse, teils plausible Lebensgeschichte parat hält. Byrnes kehrt nach London zurück, aber die Vision des Engels in der Gletscherspalte lässt ihn nicht los - er kehrt immer wieder zurück nach Jasper, sucht nach Antworten, erlebt die Veränderungen und Eingriffe in die unberührte Natur des heutigen Nationalparks Jasper, wird im Laufe der Zeit zum Glaziologen - und trifft spannende Menschen, die seinen Weg begleiten. Hal Rawson, der Lyriker, ist einer. Oder auch Trask, der ehemalige Bergführer, der sich zum Touristikmanager mausert. Und Lord Sexsmith, für mich ein typischer englischer Adliger seiner Zeit.
Der Sprachstil, die Schreibart begeistern mich von Anfang an. Dies ist eine Erzählweise, die mich unterhält, informiert und amüsiert. Thomas Wharton spielt mit Worten, geizt mit Worten, lässt Raum für eigene Gedanken und Vorstellungen, regt zu eigenen Bildern und zum Nachdenken an. Was auf den ersten Blick nicht definierbar war, entwickelt sich fast zu philosophischen Ergüssen, denen man nachgehen mag. Eine eigene Welt, fast schon ein Kosmos in einer Welt, so würde ich es beschreiben. Irgendwie ist alles besonders: die Stimmung, die Orte, die Menschen, die Ereignisse. Thomas Wharton schafft es mit wenigen (gezielten) Worten zu faszinieren, auf eine eigentümliche Art zu fesseln, zu verzaubern und den so kalt anmutenden Ort lebendig zu machen.
Die Handlung springt zwischen Zeiten und Orten, was aber nicht, wie bereits öfter in anderen Büchern erlebt, konfus und anstrengend ist, sondern spannend und gut. Die Handlung spielt vor mehr als 100 Jahren, dennoch wirken weder Sprache, Personen oder Gegebenheiten ganz weit weg und antiquiert - es macht einfach Spaß in die Charaktere, Orte und in die Geschichte der Rockies einzutauchen.
Thomas Wharton hat wunderbare Charaktere entstehen lassen, die auf den ersten Blick ganz durchschnittlich erscheinen, aber bei genauerem Hinsehen ihre ganz persönliche Geschichte erzählen. Besonders die starken und manchmal für die damalige Zeit eigentümlichen und starken Frauen sind es, die mich beeindrucken. Da ist Sara, ihre Mutter eine einheimische Schamanin, oder auch Freya Becker, die skandalumwitterte Kletterlady und Elspeth, eine Schottin, die zur erfolgreichen Hotelmanagerin avanciert und Byrnes nahe kommt. Sie alle sind unabhängig, machen einfach ihr Ding und sind dabei wunderbar menschlich und sympathisch.
Es ist schwer Thomas Whartons Der Klang des Schnees zu beschreiben, ich würde immer dieses oder jenes Detail vergessen. Es ist ein erstaunliches, subjektives und persönliches Buch, das nicht loslässt und umschmeichelt - jeden auf eine ganz individuelle Art. Lesen!