Montag, 22. Dezember 2014

weihnachten 2014. und alles dreht sich im kreis.

Foto: Pierino Cerliani

Für die Bayern bin ich eine Preußin, für die Niederländer Duits, gehöre damit zum Volk derer, die damals, als genau das noch völlig üblich und prima war, nicht Latein sprachen. Im englischsprachigen Raum bin ich german, also eine Germanin, was nicht so falsch ist, weil es übergeordnet hinkommt, während wir hier im nördlichen Europa andererseits alle Germanen sind, also auch die Schweizer, Holländer und Skandinavier.

Doch eigentlich bin ich eine Sächsin, was nichts mit dem Bundesland Sachsen zu tun hat. Manchmal bin ich auch eine Westfälin und dann wieder schlicht ausm Ruhrpott. Hängt immer von der Zeit, dem Ort und der Sichtweise ab. Aber auch das ist nur die halbe Wahrheit, denn väterlicherseits bin ich in Ostpreußen verwurzelt und die Familie der Mutter meines Vaters bestand aus österreichischen Religionsflüchtlingen. Die Österreicher nennen mich wohl Piefke und Amerikaner meinen, ich esse dauernd Kraut oder bin eine Hunnin, wobei die Hunnen, nun, lassen wir das. Dann doch lieber Kartoffelfresserin, wie mich manche Russen nennen, die mag ich nämlich sehr. In Schweiz hält man mich für eine Schwäbin, wobei Schwaben Alemannen sind, die wiederum Germanen sind, wozu auch die Schweizer gehören.

In der Schweiz bezeichnet man mich auch gerne als Norddeutsche, während ich in Hamburg unter Norditalienerin laufe, was die Italiener bestimmt ganz anders sehen. Mein Mann ist übrigens Schweizer, genauer Deutschschweizer oder Zürcher, also ganz genau stimmt das nicht, denn seine Vorfahren waren auch ziemlich viel unterwegs, ein paar kamen passenderweise aus Norditalien.

Die Norditaliener, jedenfalls ziemlich viele, kommen ursprünglich aus dem Nordosten Europas. Vielleicht haben mein Mann und ich sogar gemeinsame Vorfahren. Hunnen, Goten, Heruler, Langobarden oder sogar Vandalen, von denen sich zwei im Jahr 573, also zur besten Völkerwanderungszeit, abends am Lagerfeuer trafen:

Hömma, Erwin, ich muss mal was mit Dir bereden. Der Chef ist doof, die Nachbarn spinnen, die von der Sekte da drüben wollen mich bekehren, mit dem Einkaufen ist auch nicht so gut, die Frau hat schon Plattfüße, das Dorf ist ziemlich voll und die Schule der Kinder … kurz: Nächste Woche ziehen wir gen Westen, da soll es besser laufen.
 

Jau, is schade, aber ich versteh das. Das trifft sich, weil ich habe auch was zu vermelden: Wir haben uns überlegt, da unten im Süden ist das Wetter besser. Ich hab ja auch ein bisschen Rheuma inne Erbanlagen, dem Kerl drei Feuer weiter passt meine Nase nicht und – was soll ich sagen, ich verdien da unten einfach mehr und wenn mir ein Stein aufn Kopp fällt, kümmern die sich um meine Mischpoke. Ich muss dann auch los, packen, weiße. Karl-Heinz, war schön mit Dir! Mach gut.

Und ab ging es nach Ostpreußen, bzw. nach Norditalien, wo die Hamburger doch mich verorten! Da schließt sich ein Kreis. Und der nächste öffnet sich:

Meine Schwägerin ist Halbkolumbianerin, meine Nachbarn aus der Türkei, mein Eismann gebürtiger Italiener, mein Lieblingsrestaurant führt ein Grieche, meine Freundin hat einen Perser geheiratet und meine liebste Kollegin kommt aus Castrop-Rauxel. Alle sind und waren unterwegs. Dorthin, wo es vielleicht ein wenig besser, schöner und friedlicher ist. Seit Jahrtausenden ist das so. Wir ziehen von einem Ort an einen anderen. Verlassen unser Heimatland und schauen uns um. Wir siedeln uns an, treiben Handel und leben unser Leben. Im Gepäck haben wir Tomaten (die brachte Kolumbus mit), Nudeln (wenn die Sache mit den Chinesen stimmt), Pizza, Döner und noch so einige Dinge und Sachen. Wir nehmen sie, gerne sogar, aber nur bis vor die Haustür, drinnen herrschen andere Regeln, da hat kein Fremder und nichts Fremdes was zu suchen.

Es geht aber noch weiter, mitten in unserem Alltag: Bananen kommen aus Ecuador, die Erdbeeren Weihnachten aus Marokko, der Fisch aus Aquakulturen von den Philippinen, die Kleidung zumeist aus Bangladesch oder der Türkei, unser Öl aus den Emiraten, während Technik aus Asien zu uns kommt und die Chinesen gleich auch noch Knoblauch liefern und Israel oder Australien unsere Kartoffeln. Wir wollen Güter von auswärts, die Menschen mit ihren Eigenarten und Besonderheiten aber nicht. Die sind fremd, einfach anders und nehmen uns (gefühlt) was weg. Dabei waren und sind wir doch alle fremd. Irgendwo und irgendwann. Und wie können sie uns etwas wegnehmen? Land kann doch niemanden gehören, Bildung auch nicht und Religion schon mal überhaupt nicht. Und sowieso: Immer war jemand vor uns dort und auch hier. Nehmen wir dem nun was weg?

Interessanterweise schreien besonders vehement Menschen, die kaum fremde oder andersartige Menschen um sich haben und kennen. Das zeigen Statistiken. Lautstark stigmatisieren sie die Zersiedelung der Landschaften, die fehlenden Arbeitsplätze und Wohnungen, die Vermischung der Kulturen, die fremden Einflüsse, die vollen Busse, Bahnen und Autobahnen und natürlich die vielen fremden Menschen vor Ort. Also, vor der eigenen Haustür, denn drinnen, eben, da hat niemand etwas verloren. Und dann fallen Worte wie Dichtestress und Überfremdung. Altbekannter Nazi-Jargon, aber Rassisten sind doch die anderen!

Und im Februar 2014 haben die Schweizer entschieden, dass sie ihren Wohlstand, den sie fast immer von fremden Menschen, oft sogar in fremden Ländern erarbeiten lassen, nicht mehr teilen wollen. Und in Deutschland gehen vor allem die östlichen Bundesländer auf die Straße, obwohl doch genau sie sich erinnern sollten, wie es ist, wenn man nicht so darf, wie man gerne möchte.

Dabei geht es uns allen doch nur so gut, weil immer jemand die Rechnung bezahlt. Wir leben auf Kosten anderer. Denen in Bangladesch, Afrika und Asien, die nicht so viel Erfolg mit diesem vermaledeiten Prinzip haben. Und es ist uns egal, wie es ihnen geht. Weil die ja zum Glück weit weg sind und wir uns das Elend nicht ansehen müssen. Das ist halt so.


Ich weiß gar nicht, was ich uns wünschen soll: Dass es mal andersrum läuft und wir die Gelackmeierten sind. Oder die Welt gerechter ist und wir uns alle mal selbst ganz kräftig an die eigene Nase fassen. Es dreht sich doch alles im Kreis. Immer wieder, selbst die Erde. Und da kommen wir weg. Alle.

Denkt drüber nach. Sie bitte auch. Schließlich ist Weihnachten. Da haben wir doch Zeit. Und Anlass täglich mehr als genug. In diesem Sinne: Friedliche Weihnachten und ein besseres 2015.

PS. Die Weihnachtszeit verbringen wir kuschelig zu Hause oder mit Freunden. Es geht nicht allen Menschen so gut wie uns: Viele Flüchtlinge, die auf dem Weg in die Freiheit alles verloren haben und nun in einem für sie ganz fremden Land, in einer unbekannten Kultur, ohne unsere Sprache zu verstehen und oft sehr allein leben, freuen sich über ein wenig Unterstützung und Hilfe. Auch und besonders zu Weihnachten. Zwei Kolleginnen von mir haben etwas auf die Beine gestellt, wir können nämlich alle etwas tun, daher schaut auf dieser Seite vorbei: http://wie-kann-ich-helfen.info