Samstag, 2. Januar 2016

2016: ankommen und angekommen.

Foto: Pierino Cerliani

Zehnmal habe ich mitgemacht, mich 10 Jahre lang eingereiht und Weihnachtswünsche verschickt. 2016 feiert wortfeiler nämlich den 10. Geburtstag. Und weil den ewig gleichen Rhythmen, Schemata und Strukturen folgen so gar nicht mein Ding ist, habe ich mit dieser nicht vorhandenen Tradition gebrochen – und keine Weihnachtswünsche und auch keine Silvesterwünsche verschickt. 

Und mal ehrlich: Hat jemand gemerkt, dass zwischen den vielen Karten, Briefen, Mails und Postings kein Wort von mir war? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Das macht nichts, denn wirklich relevant, aussagekräftig und ernstgemeint sind die wenigsten der oftmals gutgemeinten Botschaften. Meist handelt es sich eher um einen vorgedruckten, langweiligen oder lapidaren Wink mit dem Strohmast, der vielleicht nicht einmal wahrgenommen, geschweige denn gelesen wird. 

Warum also jetzt? Ich könnte doch einfach die Klappe halten. Vor Weihnachten ist schließlich nach Silvester. Und da muss ich doch nicht noch etwas nachschieben. Doch! Ich will. Wie war das also mit 2015? 

Ich blicke ihm nach. Dem Jahr 2015. Kopfschüttelnd, staunend, empört, überrascht, allerdings mit wenig Wehmut, dafür mit ein bisschen zuversichtlicher Hoffnung auf Wertschätzung. Der eigenen und der für andere. Damit die, die ankommen, sich angekommen fühlen dürfen und die, die meinen, sie sind längst angekommen, auch wirklich ankommen. Klingt kompliziert? Ist es nicht, aber komplex. 

Die Umfragen und Meldungen hauen es uns nämlich immer wieder um die Ohren: Angst geht um. Ängste machen sich breit. Terrorwarnungen und -anschläge, Völkerwanderungen, Flüchtlingsströme und Wirtschaftsbetrug – auf nichts ist mehr Verlass und zu viele Menschen sehen sich in einer nicht mehr vorhersehbaren Welt, in der die eigene kleine Komfortzone vermeintlich bedroht und instabil wirkt. Wirklich? Denn: Die Kaufkraft steigt, die Löhne auch, die Lebenshaltungskosten steigen kaum und der Konsum läuft unverdrossen weiter. Warum also so viel Angst? Weil Angst Veränderungen bedeutet und wir uns lieber ausruhen und auf hohem Niveau jammern? Weil Ungewissheit bedrohlich ist und mögliche Enttäuschungen unschön sind? 

Angst kann doch auch ein Motor sein, eine Chance auf Entwicklungen, eine Erweiterung des Horizonts und nicht zuletzt Wertschätzung. Machen wir unsere Welt nicht kleiner als sie in Wirklichkeit ist? Und sind wir nicht ein bisschen spät dran, um Angst zu haben? 

Denn eigentlich baden wir nur die Folgen unseres eigenen Handelns und Tuns aus. Die Globalisierung läuft doch seit Jahrhunderten und wir sind es gewohnt, alles zu haben und zu bekommen – und das möglichst billig, günstig und preiswert. Und wir schauen nicht dahinter. Dorthin, wo die Rohstoffe, die wir freimütig verjubeln, herkommen. Auch nicht dahin, wo Menschen für uns schuften, damit wir es einfach und bequem haben. Und fragen wir uns, was billige Rohstoffe, Kleidung, Lebensmittel, Produkte und Reisen bedeuten? Sie sind billig für uns und haben dennoch keinen Wert. 

Uns geht es nicht gut? Oder nicht gut genug? Aber anderen geht es besser oder schlicht zu gut im Vergleich zu uns. Wirklich? Oder kriegen wir den Hals einfach nicht voll und gönnen anderen nicht das Schwarze unter den Nägeln? Wenn wir es nicht machen, macht es nachher noch ein anderer und die anderen machen es doch auch? Wer sind wir, dass wir uns einen Euro oder zwei entgehen lassen! Und die Moralkeule ist doch auch peinlich. 

Haben wir wirklich Probleme, Sorgen und Nöte oder verursachen wir sie nicht selbst. Und das seit Jahrhunderten. Damit es für uns noch ein wenig bequemer und billiger ist. Und wir vergessen, wir sind mittendrin. In der vernetzten, globalisierten Welt, in der weltweit gehandelt, fröhlich Waren hin- und hergeschoben werden. Von Waffen und Öl möchte ich erst gar nicht anfangen. Von Religionen auch nicht. 

Und die Welt klopft dann halt auch mal die Tür. Irgendwann können wir sie nicht mehr ignorieren. Und auch nicht die Folgen und Ursachen, die wir verdrängen möchten und erinnern uns an vermeintliche Werte und Tugenden, die nie welche waren und gar keine sind – wir schüren unsere eigenen Ängste. 

Und wir vergessen etwas: Entschuldigung, wir waren das. Wir machen das, wir machen mit und sind mittendrin. Weil Globalisierung nicht nur Waren betrifft, sondern immer auch Menschen. Wir sind die, die auf der richtigen Seite der Weltkugel hocken, reiben uns die Bäuche und fragen uns, wie es uns noch ein wenig besser gehen kann. Die anderen hatten und haben einfach Pech und sollen dort bleiben, wo wir sie nicht sehen. Und wenn sie schon hier bei uns sein müssen, sollen sie wenigstens nicht auffallen, sondern schön konform mitmachen.

Und wie kann 2016 sein? 

Wir sollten nie aufhören, es zu versuchen. Und Chancen erkennen. Und aus Bequemlichkeit nicht jede Abkürzung nehmen, die sich bietet und nicht auf blanke Polemik und oberflächliches Geplänkel reinfallen. Und nicht dauernd Fehler und Schuld bei anderen suchen. Und uns nicht klein denken und unsere kleine gedankliche Insel einfach verlassen. Denn Welt und Wirklichkeit werden nicht weniger furchteinflößend, wenn wir sie uns schön denken und reden und Tatsachen ausblenden. 

Wir sollten endlich ankommen. In der realen Welt. Dann wird das was mit dem neuen Jahr. Ohne Angst, mit Wertschätzung und dem Bewusstsein, wir sind alle ein Teil der Welt und mittendrin.