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Carême ist für einige Wochen in den (ehemaligen) Pariser Palast Napoleons zurückgekehrt und kocht ein exquisites Menü für zwei Personen: Außenminister Charles-Maurice de Talleyrand, der gerade die Bourbonen auf den Wiener Kongress vertreten und dabei geschickt günstige Bedingungen für Frankreich ausgehandelt hat, und Polizeiminister Joseph Fouché. Diese beiden hatten die Geschicke des Landes seit der Revolution in der Hand und wollen heute über die Zukunft der Nation entscheiden. Die Frage lautet: Monarchie oder Rückkehr Napoleons?
Die Diener stecken noch in den Vorbereitungen für das Treffen, während sich Fouchés Kutsche ihren Weg durch aufgeregte Menschenansammlungen bahnt. Fouché denkt opportunistisch: Während er auf der einen Seite eine mögliche Rückkehr Napoleons plant, kommt er gerade aus Gent, wo er mit Ludwig XVIII. und Metternich konspirierte, falls die Rückkehr Napoleons nicht glücken würde oder nicht von langer Dauer wäre. Unruhe herrscht im Volk, mit Fackeln und Stöcken bewaffnet streifen sie durch die Straßen und Gassen, immer auf der Suche nach einem Verantwortlichen. Die Kutsche holpert über das grobe Kopfsteinpflaster, der Kutscher treibt seine Pferde durch die marodierenden Massen und intoniert energisch Üüü Üüü!
Welch Pathos! Die dramatische Situation ist hin! Die aufgeladene Atmosphäre verpufft! Ich schaue erstaunt auf – und lache. Der spannende Filmanfang, den ich eben beschrieben habe, wandelt sich für mich in ausuferndes Kichern. Natürlich klingt es nur so, die französische Sprache schreibt Hue und nicht Üüü.
Warum rufen Franzosen ihren Pferden Hü zu? Auf zur Suche!
Wäre es nicht etwas kompliziert, könnte ich es ganz einfach erklären – aber ich muss schon ein wenig ausholen. Folgen Sie mir bitte:
Vielleicht erscheint es nicht nur mir ungewöhnlich, dass im Französischen der Fuhrmannsruf Hue genutzt wurde und wird, die Erklärung ist recht einfach: Sie erinnern sich, damals, vom 4. bis zum 8. Jahrhundert war in Europa reichlich viel los. Familien, Stämme, ganze Völker zogen durch die Gegend, über Grenzen von Ländern, die es damals noch gar nicht gab. Eroberungsfeldzüge, Gebietsbeanspruchungen, Vertreibung – sie kloppten sich mit anderen Völkern und besonders gerne mit den Römern, zu deren Weltreich sie unbedingt oder auf gar keinen Fall gehören wollten.
Eines dieser Völker waren die Franken, die weite Teile des gallo-romanischen Reiches, also auch keltisch besiedelte Gebiete eroberten. Die Folge? Vom 4. bis zum 9. Jahrhundert nach Christus gehörten große Teile des heutigen Frankreichs zum Fränkischen Reich. Die Franken übernahmen aber nicht nur herrschaftstechnisch Landstriche und Gebiete – sie brachten natürlich ihre verschiedenen Dialekte und Sprachen, die alle germanischer, bzw. deutscher Natur waren, mit.
Deutsch als Sprache gab es damals noch nicht, aber sogenannte deutsche Dialekte, zu denen fränkische, sächsische, bajuwarische und alemannische gehörten. Die Sprachräume vermischten sich durch Eroberungen und Ansiedlungen fröhlich, so dass es kaum noch einheitliche Sprachräume und -grenzen gab.
Das Fränkische Reich war groß, sehr sogar: Es reichte über ganz Frankreich, lediglich die Bretagne konnte keltisch bleiben, und alle Länder zwischen Mittelmeer, Ostsee und Nordsee gehörten ebenfalls dazu. Dominant setzte sich die fränkische Sprache in diesem enormen Gebiet durch – und die kannte wohl schon Wortschöpfungen wie Hü. (Wobei ich erwähnen möchte, dass es den Buchstaben ü damals noch gar nicht gab.)
Zossensprache: Von Hü und Hott.
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Hört das Pferd also Hü, so weiß es, loslaufen ist angesagt – und im besten Fall tut es das auch. Hü kann auch das Kommando für links sein, während Hott dem Tier sagt, es sollte jetzt nach rechts laufen. Brr kennen Sie sicher selbst, oder? Ja, es wäre sehr schön, wenn das Pferd zum Stehen kommt.
Falls Sie sich die Unterscheidung merken möchten, können Sie dies anhand dieser Redewendung, die unentschlossenes Verhalten charakterisiert: Einmal hü, einmal hott! Du weißt auch nicht, was du willst! (Vorausgesetzt, Sie haben sich gemerkt, dass Hü links und Hott rechts bedeutet.)
Überliefert sind auch Variationen wie Hotte, Hotta, Hotto, Hüa, Hottehü und Hott Hott. Wobei meine Logik sich fragt, ob der Befehl Hottehü nicht für ein verwirrtes, zumindest ein irritiertes Pferd sorgt – schließlich kann das vorwärts nach rechts und gleichzeitig rechts und links heißen. Nun, wahrscheinlich ging es die meiste Zeit gut.
In der Kindersprache finden wir heute noch Überbleibsel und Bezeichnungen, die wohl einen ähnlichen Ursprung haben – das Hottehü(h), der Hottogaul, das Hottepferdlein, das Hotteli (Schweiz) und der Hottemax.
Etymologie von hü und hott
Wann diese Rufe entstanden sind, das ist unbekannt und unsicher. Woher sie kommen, ist ebenfalls unbekannt. Mögliche Ursprünge sind nicht eindeutig zuzuweisen, in Frage kommen hoh (her), wist (mittelhochdeutsch links), hist und hüst. Es gibt sie schon lange, bekannt und geläufig waren sie auch. Wir haben mittelhochdeutsche Belege, Schiller verwendete die Interjektionen und im Märchen Daumesdick der Brüder Grimm tauchen sie auf: Jüh und joh! Hott und har!
Die gerade genannte Quelle ist äußerst interessant, denn Norbert Nail findet in seinem Artikel Däumlings Deutsch (zum „Grimm-Jahr 2012“) noch mehr heraus. So gab es wohl Har als Gegenwort zu Hott, was Hü entspricht. Links ging der Mensch, der die Pferde begleitete oder führte und auf dem linken Pferd saß auch der Fuhrmann, der von hier die Pferde steuerte.
Herr Nail hat in einem Wörterbuch den landschaftlichen Gebrauch gefunden, der gleichzeitig eine Erklärung des Warum sein kann. Das Kleine thüringische Wörterbuch sagt nämlich aus, dass Hott, bzw. hott(e)weg die Richtungsänderung nach rechts besagt, während Har, bzw. har(e)weg der Richtungsänderung nach links entspricht. Hörten die Pferde Jüh, Jüh to oder Jüh zu bedeutete dies loszugehen oder anzuziehen. Die Form Hü, bzw. Hüa ist als Imperativ zu verstehen.
Französische Pferde wiehern anders
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Im Französischen gibt es ebenfalls die Interjektion, die dem Pferd sagt loszulaufen oder nach links zu gehen – sie lautet Hue. Spannenderweise besagt die Übersetzung von Hue im Deutschen ebenfalls Hott, während Huhau dem französischen Pferd die Richtungsänderung nach rechts anzeigt.
Moment! Hue bedeutet vorwärts und/oder nach links und entspricht den deutschen Kommandos Hü und Hott, während Huhau nach rechts bedeutet, aber wie unser Hü klingt?
Vielleicht sollte ich mich lieber entspannen und den Film schauen!
PS: Maître Marie-Antoine Carême hat viele Kochbücher geschrieben, die heute als Standardwerke der opulenten französischen Küche gelten. Seitenweise dekorative Schaugerichte eines Mannes, der über die Budgetbeschränkungen des russischen Zaren enttäuscht und frustriert war. Sein 1822 erschienenes Buch Le Maître d'hôtel français findet sich online und ist einen Ausflug wert.