Der Deutschschweizer an sich spricht kein Hochdeutsch, er empfindet dieses Vorgehen als reichlich affektiert, als eine Art Bühnendeutsch und fühlt sich reichlich unwohl dabei. Man spricht den lokalen Dialekt. Schluss, aus, fertig. Hochdeutsch, das in der Deutschschweiz Schriftdeutsch heißt, wird - wie es der Name bereits aussagt - lediglich schriftlich genutzt. Oder Standarddeutsch. Oder doch Regiolekt. Oder eine selbsterfundene Mischung. Die Befindlichkeiten des Deutschschweizers bezüglich seiner Artikulation sind eigen. Bedingt durch die Erfahrungen der letzten Jahre war mir dieses Verhalten durchaus klar, auch wenn ich es nicht nachvollziehen oder logisch erklären kann.
Aber es begibt sich, dass ich hin und wieder Bücher lese, die aus der
Deutschschweiz stammen, dort geschrieben oder zumindest dort lektoriert
wurden. An sich kein Problem. Sollte man denken.
Ist es aber doch, denn ohne Duden irre ich manchmal sehr verloren durch die Deutschschweizer Sprachlandschaften. In solchen Büchern tauchen Wörter auf, die ich in keinen Zusammenhang bringen kann.
Ein Beispiel ist das Wort Jupe. Ein anderes Schopf. Steht in einem Buch, das mir meine Schwiegermutter ans Herz gelegt hat. Ja, wird der geneigte Leser nun sagen, Du kennst keinen Schopf, den man betreten kann? Nein, muss ich dann zugeben, ich musste nachfragen und recherieren:
Nun wurde ich vom weltbesten Mann, nämlich meinem, großzügig beschenkt, eine Biografie des heißgeliebten Friedrich Dürrenmatt. Ein wunderschönes, edles, gebundenes und dickes Buch, aber erneut wirft die Wortwahl immer wieder Fragen auf; dieses Mal stolperte ich über das Wort Schnurre. Immer wieder.
Nachdenken brachte mich weiter, für mich schnurrt eine Katze, aber eine Schnurre aus dem Leben Dürrenmatts? Trug der Fritz einen Schnurrbart und so heißt die Rotzbremse in der Schweiz? Eine Schnur kann es doch auch nicht sein, also musste wieder ein Wörterbuch ran. Aha, eine Schnurre ist eine scherzhafte Erzählung:
Man beachte bitte den Zusatz veraltet, dem ich auf meiner Suche nach Deutschschweizer Wörtern sehr oft begegne. Schaue ich nämlich tiefer in die jeweilige Etymologie, stoße ich fast immer auf mittelhochdeutsche Wurzeln der rätselhaften Wörter.
So auch bei der Schnurre: Im ausgehenden Mittelalter, im 16. Jahrhundert gab es eine lärmende Gerätschaft, die Schnurre hieß und wohl das war, was wir als Ratsche, Knarre oder Brummkreisel kennen. Possenreißer und Bettler machten damit auf sich aufmerksam und - jetzt kommt es - daraus entstand die Assoziation von Schnurre zu Posse/komischem Einfall. Das schnurrende Geräusch kündigte hörbar eine lustige Anekdote an. Nebenbei bemerkt erfand man im 18. Jahrhundert das passende Adjektiv schnurrig, das possierlich oder lächerlich bedeutet.
Sicher, ein Deutscherschweizer Buch ist ein Abenteuer, eine spannende Herausforderung, schließlich wird es nie langweilig, weil ich etwa auf jeder Seite gefordert bin, mich fragend am Kopf kratze, auf die Suche gehe und dabei immer etwas lerne. Andererseits kann es auch reichlich ermüdend sein und mich gehörig nerven.
PS. Und nun sagt mir bitte, ob Ihr Jupe, Schopf und Schnurre kennt?