Dialekt ist angesagt, zumindest als Thema: Neben dem Test namens Moin, Grüezi, Servus - wie wir wo sprechen, der überraschend zielgenau ist, finden sich immer wieder Artikel, die auf den Verfall und das Aussterben der Dialekte hinweisen. Heute hat Spiegel Online wieder einen rausgehauen, der mich zum Nachdenken bringt.
Es geht um das Image von Dialekten und Dialektsprechern - und den Umgang mit dem heimischen Dialekt.
Ich tue mich schwer, eine Variante zu bevorzugen, für mich dürfen, können und sollen beide nebeneinander existieren. Es ist schön und gut, wenn man beide beherrscht, den lokalen Dialekt und die Hochsprache. Was mich irritiert, ist die Bevorzugung und Betonung einer Seite, sie gehören zusammen, sind sie doch lediglich Variationen oder Ausprägungen.
Die Realität weicht oft von meiner Sichtweise ab: Während in Deutschland Dialektsprecher als dumm oder ungebildeter angesehen werden, sieht es in der Schweiz und in Österreich anders aus, denn dort wird die eigene Identität, das Wohlfühlgefühl, die Verbundenheit untereinander und mit der Heimat sehr stark mit dem eigenen Dialekt in Verbindung gebracht. Meinetwegen, wenn es nicht in Patriotismus und Nationalismus ausartet – und andere ausgrenzt.
Die Koexistenz von Dialekt und Hochsprache scheint schwierig zu sein. Hochsprache wird schon einmal als blasiert, hart oder auch direkt angesehen, während der heimische Dialekt bevorzugt und gestreichelt wird. Dabei wird gerne vergessen, dass das sogenannte Schriftdeutsch doch auch die Mutter- oder Vatersprache ist und vornehmlich einem Sinn und Zweck dient: der Verständigung, dem Austausch und dem Miteinander. Und das funktioniert sehr viel leichter, wenn es einen gemeinsamen Nenner gibt, der in diesem Fall für Deutschland, Österreich und die Schweiz wie am Schnürchen laufen könnte.
Könnte, weil es leider nicht immer so ist, wie der Artikel vorgibt: Nicht alle Dialektsprecher sind ungemein versiert, weil mehrsprachig, und beherrschen Hochsprache und Dialekt.
Eigentlich logisch, denn eine Sprache fluppt nicht so reibungslos, wenn ich sie nicht benutze und sie mir fremd, ungewohnt und unbehaglich ist. Dann fehlen Worte und Wörter, Redewendungen klingen unbekannt und die Sprachmelodie mutet hölzern an. Und dann passiert das, was passieren kann: Die Verständigung klemmt, betretenes Schweigen trifft auf und wir tun uns schwer mit- und untereinander. Da wäre es doch besser, einfach zwischen Dialekt und Standardsprache hin- und herschalten zu können, oder?
Immer wieder lese und höre ich den Vorwurf, die deutschen Dialekte sterben aus. Ist es so? Und wenn, ist es unbedingt schlecht? Es gibt eine andere Seite zu bedenken: Dialektsprecher, die sich vehement und bedingungslos für die eigenen, lokalen Sprachgewohnheiten einsetzen, wollen sich oft gar nicht austauschen, sie wollen sich meist lieber auf sicherem Terrain bewegen oder meist gar nicht bewegen oder verändern. Die anderen, fremden, neuen, nicht seit dem Mittelalter im Ort ansässigen Menschen sollen sich nämlich bewegen, sie sollen sich anpassen, besser noch assimilieren – und sprachlich dazugehören, weil dann die Welt in Ordnung ist.
Eigene Sprachmerkmale, liebgewonnene Ausdrucksweisen, einseitige Sichtweisen sind wichtiger als die der anderen, die gehören unter den Teppich und sollen die Klappe halten. Daraus entsteht eine selbstgewählte Isolation, die nicht auf Veränderung, Bewegung und Kommunikation abzielt, man bleibt unter sich, alles bleibt so, wie es ist, und gut ist. Das ist der Preis, wenn keine Offenheit vorhanden ist und die gemeinsame Basis an der Nasespitze endet. Oder Hochsprache und Dialekt dürfen neben- und miteinander sein - das wäre eine Alternative, eine Möglichkeit, die alle berücksichtigt.
In Deutschland bekommen wir von Geburt an eingetrichtert, Hochdeutsch ist die Bildungssprache und wer nur und fast nur Dialekt spricht, versaut sich Chancen auf höhere Bildung, sozialen Aufstieg, bessere Berufswahl und variable Arbeitsplätze. Ergo lernen wir zu Hause (immer im Rahmen der Möglichkeiten) Hochdeutsch, sprechen im Kindergarten Hochdeutsch und in der Schule auch – alles im Bewusstsein, der Dialekt hat seine Existenzberechtigung, aber er gehört in die Freizeit oder an den Stammtisch.
Das klingt für Österreicher und Schweizer vielleicht dogmatisch, ist es aber nur, wenn eine Variante bevorzugt wird und nicht beide gleichberechtigt nebeneinander sein dürfen. Denn üblicherweise können sich Ostfriesen, Sachsen und Bayern miteinander austauschen und reden, alle lernen und beherrschen mehr oder weniger eine Sprache, die sie unter einem Label eint – Hochdeutsch, mit zuweilen charmanten Einsprengseln des eigenen Lokalkolorits.
Es geht auch anders: Nehmen wir die Schweiz, wo der Dialekt gerne mal gepriesen wird und das Schriftdeutsche zuweilen als Bühnendeutsch abgetan und vermieden wird. So klein die Schweiz erscheinen mag, sie ist reich an Dialekten, die alle paar Kilometer wechseln. Das weiß man, kennt man, akzeptiert man und spricht miteinander. Dort lernt man meist ausschließlich Dialekt, mit 5 oder 6 Jahren kommt man üblicherweise und je nach Kanton für 1 oder 2 Jahre in die erste Klasse, den Kindergarten. Dort, und manchmal auch erst später, wird Deutsch als Schriftsprache gelernt, wie in deutschen Gefilden Englisch oder Französisch. Im Ergebnis wird die deutsche Hochsprache, die eine der 4 Landessprachen ist, als Fremdsprache empfunden und gelehrt. Das bringt oftmals eine Abneigung gegen die fremde Sprache, die im großen Kanton im Norden gesprochen wird, mit sich: Missverständnisse tauchen in der Kommunikation auf, unüberwindbare Barrieren ergeben sich. Schade, denn wir und die Deutschschweizer haben doch eine gemeinsame Basis. Wir könnten miteinander und nebeneinander, auch sprachlich.
Und jetzt mal ehrlich: Wir handeln global, reisen durch und in alle Länder der Welt, aber geht es um die eigene Sprache, die alltägliche oder schriftliche, dann handeln wir regional, lokal und sind auf einmal ganz klein.
Warum nur schränken wir uns ein, bauen Grenzen auf und machen uns gegenseitig Vorschriften? Weil das Fremde fremd ist und heimatliche Klänge Zuhause sind? Warum bereichern wir uns nicht, indem wir Möglichkeiten nutzen, statt sie verbauen?
Und wenn wir untereinander, also zwischen den einzelnen deutschen Dialektgebieten schon keinen gemeinsamen Nenner finden und nutzen wollen oder können, den die deutsche Hochsprache bietet, und jeder auf seinem Recht und Vorrang beharrt, wie, ja wie eigentlich, wollen, können und sollen wir das mit Besuchern, Gästen, Freunden, Familienmitgliedern, Kulturen, Mentalitäten und Hilfsbedürftigen aus anderen Ländern hinkriegen?