Ein Pinn Fleischwurst mit Knoblauch, bitte.
Eine ganze?
Nee, ein Pinn.
Kennich nicht. Wie viel ist das?
Halt ein Stück. So 10 bis 15 Zentimeter.
Ich bin ein wenig erstaunt, schließlich ist genau dieser Ausdruck feinster Lokalkolorit und völlig üblich. Dachte ich. Ist aber nicht (mehr) so, viel mehr war es wohl so. Daher widme ich diesen Artikel dem Pinn Fleischwurst. Gerne mit Brötchen. Das gehört dazu, wahlweise mit Senf.
Foto: Barbara Piontek |
Fleischwurst? Fleischwurst.
Fange ich vorne an, denn bereits Ausdruck und Wesen der Fleischwurst können durchaus Fragen aufwerfen. Es scheint eine lokale Lebensgewohnheit, Pardon, eine Essgewohnheit des Ruhrgebietes zu sein. Schließlich werde ich nördlich und südlich von hier in Sachen Fleischwurst schräg angeschaut. Was vielleicht daran liegen mag, dass allein das Wort und die Sache an sich, nämlich die Fleischwurst nicht im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt ist.
Bei einer Fleischwurst handelt es sich um eine (geräucherte) Brühwurst, die in anderen Gegenden Deutschlands unter dem Namen Lyoner bekannt ist. Wobei ich einwerfen muss, dass die Rote, wie die Lyoner im Raum Nagold genannt wird, schon etwas anderes als die heimische Fleischwurst ist. Farblich, geschmacklich und auch von der Größe und Konsistenz.
Im Ruhrgebiet gehört Fleischwurst zum Alltag und es lässt sich kaum ein Metzger finden, der keine herstellt oder anbietet. Abgepackt, eingeschweißt und als Massenware taugt sie nicht viel. Besonders ist heiße Fleischwurst, die direkt aus dem Kessel und dem Sud, in dem sie gebrüht wird, kommt und aus der Hand gegessen wird. Vielleicht noch mit oder in einem Brötchen, vielleicht einer Scheibe Toast, aber auf jeden Fall ohne Messer, Gabel und Teller. Das Ganze funktioniert eigentlich nur auf dem lokalen Wochenmarkt und ist eine Kindheitserinnerung und ein Stück Lebensqualität.
Kurz: Ich liebe Fleischwurst. Heiße, lauwarm oder kalte, ohne Senf, aber mit Brötchen. Fleischwurst geht morgens, zum Frühstück, zwischendurch, als Mahlzeit, Snack, abends, nachts und eigentlich immer. Und das geht nicht nur mir so, auf Baustellen, in Büros oder zwischendurch auf dem Parkplatz wird nicht, wie den Eingeborenen des Ruhrgebiets so oft unterstellt, Currywurst gefuttert, nein, es ist durchaus die Fleischwurst, eben, ein Pinn Fleischwurst. Gerne auch in oder mit einem Brötchen dabei und dazu. Und danach eine Currywurst. Oder davor und dazu. Oder gar nicht und einzeln. Currywurst geht halt immer, Fleischwurst sowieso.
Wortsuchereien nach dem Pinn.
Damit sind wir beim Maß aller Dinge – dem Pinn. Pinn ist ein Wort, das im Ruhrgebiet allerlei Verwendung findet: Pinne sind Beine, die ich mir durchaus in den Bauch stehen kann, ein Pinn inne Fott ist der Stock im Allerwertesten, der bildhaft die Steifheit mancher Menschen beschreibt, der Pinn ist ein Hebel, der betätigt werden will, Pinnchen oder Pinneken heißt das Schnapsglas für den Kurzen und ein Pinn ist ebenfalls ein (dürrer) Baum, ein Zweig, ein Ast, ein Stock.
(Lesenswert in diesem Zusammenhang ist der einzige in den Weiten des Internets vorhandene Text, der den Pinn Fleischwurst erwähnt und sich mit dem Pinn beschäftigt.)
Der Duden kennt die Pinnwand, die Pinnnadel, die Pinne, die Pinna (übrigens eine Vogelmuschel des Mittelmeeres) und die Verben pinnen, anpinnen, abpinnen (abschreiben), aber ein Pinn? Nichts zu finden, nichts zu wollen.
Weitersuchen, zurück zu den Wurzeln, zu Grimms Wörterbuch. Und dort ist etwas zu finden, das passen könnte. Denke ich, denn die Erklärungen klingen logisch. Vorsicht, nun wird es ein wenig kompliziert, es geht um 5 Ecken und über 3 Brücken:
Ein Pinn ist etwas hartes, relativ kleines, zum Beispiel ein Nagel, was die Form des Pinnes Fleischwurst erklären könnte. Jedenfalls wenn die Fleischwurst nicht besonders gut ist, denn dann ist sie hart und nicht so lecker. Und diese kann ich in ein Brötchen schieben. So ich will.
Gehe ich weiter, lande ich bei Pfinne und Pfinnig, wo ich unter 2 und Pfinnig wirklich etwas mit Fleisch finde. Könnte auch passen, da wir im Lebensbereich Ruhr das f weglassen; d. h. wir haben kein Pferd, sondern ein Ferd, was genauso klingt wie fährt, falls also ein Ferd fährt ist das in heimischen Gefilden gar kein Problem und aus Pfinne kann problemlos ein, ähm, Finn werden. Mist, das war nichts.
Vielleicht ist sowieso alles viel einfacher und es handelt es sich ganz einfach um den Pinn, an dem die Fleischwurst nach dem Brühen oder im Laden des Metzgers aufgehangen wird? Oder die Fleischwurst wurde früher nicht mit einem Bindfaden zugebunden, sondern mit einem Pinn verschlossen, damit die Pampe nicht in die Brühe lief?
Der Pinn – ein Pole?
Die Sprache des Ruhrgebietes ist aber nicht nur mannigfaltig, verliert in der Aussprache gerne mal die ein oder andere Silbe und verkürzt sich mit Vorliebe, sie gibt sich Einflüssen anderer Sprachen hemmungslos hin und macht etwas daraus. Einer dieser Einflüsse kommt vermeintlich aus Polen; es existiert sogar die Bezeichnung Ruhrpole, wie Wikipedia mir mitteilt.
Der Pole an sich, entgegen aller gängigen Vorurteile, ein fleißiger, ruhiger Zeitgenosse, der im Ruhrgebiet nicht nur viel gearbeitet hat und selbiges heute noch tut, bereichert uns seit Jahrhunderten mit Speise, Trank und zuweilen mit Worten und Wörtern. So benutzen wir keinen Hammer, sondern einen Mottek. So das denn polnisch ist.
(Passend dazu hat ein ungemein netter, kluger und humorvoller Mensch, der bei mir bereits vor Jahren mächtig Eindruck hinterlassen hat, einen lesenswerten Artikel geschrieben. Der von mir geschätzte Herr, namentlich Heinz H. Menge, unterrichtete mich an der Ruhruniversität Bochum im Bereich Germanistik und nicht nur deswegen lege ich den Artikel gerne geneigten Lesern vor die Nase.)
Die sprachliche Einflüsse des Polnischen sind also mehr oder weniger belegbar vorhanden, daher stellte ich mir die Frage, ob der Pinn vielleicht so seinen Weg zu uns gefunden hat. Wörterbücher brachten mich nicht weiter, also habe ich Menschen gefragt, die des Polnischen mächtig sind. Leider ohne Ergebnis, bis ich meinen Getränkelieferanten anrief, der gebürtiger Pole ist und jedes Mal, wenn er meinen Nachnamen hört, der Meinung ist, ich sei ebenfalls eine und würde die Sprache beherrschen. Dem ist nicht so, sonst würde ich die Antwort ja kennen, doch dieses Mal nutzte ich die Gunst der Stunde und fragte ihn, ob er einen Pinn kennen würde. Kennt er, weiß er und es folgt:
Der Pinn – ein schlüpfriger Zeitgenosse.
Der Getränkemann, der an dieser Stelle anonym bleibt, erklärte mir, dass er den Pinn aus dem Polnischen als umgangssprachlichen Ausdruck für Pimmel kennt und es sich bei der Verkleinerung Pinorek dementsprechend um ein Pimmelchen handeln würde.
Ja, wir bewegen uns gerade in schlüpfrigen Sprachbereichen, aber unter uns: Das Ruhrdeutsche neigt zu derben Worten, vulgärer Direktheit und unverblümten Ausdrücken und im Sinne der Wahrheitsfindung muss ich mich sprachlich schon anpassen und mitmachen. Bestätigungen für diese Übersetzung, bzw. Interpretation habe ich allerdings nicht gefunden.
Doch, vielleicht im Kroatischen, wo das im Ruhrdeutschen gebräuchliche Wort Pimpek, das einen kleinen Hebel, Pin, Stift, Bolzen oder Gegenstand ebenso benennt wie der Pinorek, die Entsprechung oder besser Übersetzung von Penis, bzw. Pimmel sein soll. Wie weit auf kroatische Online-Wörterbücher Verlass ist, nun, das vermag ich nicht zu entscheiden.
Pinngröße – wie viel Fleischwurst ist ein Penis?
Ehrliche Antwort? Ich weiß es nicht. Ein Pinn bemisst sich in seiner Handlichkeit – er passt bequem in die Hand und bietet ausreichend Platz zum Abbeißen. Und er passt in ein Brötchen; wozu ein Loch in selbiges, also das Brötchen geprockelt wird oder es lapidar durchgeschnitten wird, dann der Pinn Fleischwurst unzerteilt zwischen die Hälfen gelegt und das Brötchen wieder zusammengeklappt wird – und guten Hunger.
Da sich die Größen von Händen unterscheiden, die von Brötchen und Fleischwürsten ebenfalls, ist die Pinngröße nicht genau feststellbar. Vielleicht existiert aus diesem Grund die Bezeichnung Pinn und kann mit einem Penis in Verbindung gebracht werden? Da weiß man auch nicht so genau, will es vielleicht nicht wissen und schweigt lieber dezent.
Was ich kann, ist die Größenabstufungen der undefinierbaren länglichen Dinge mitzuteilen: Der Pinn ist das größte Ding, es folgen der Pinorek und der Pimpek, deren Abgrenzung voneinander nicht so einfach ist, und dann folgt das kleinste Dingen, der Nupsi. Und der Eumel. Ach, es gibt noch sehr viel zu tun.