Montag, 11. April 2016

redewendungen und rechtschreibung: wer zuerst kommt, mahlt zuerst.

Es mag Sie vielleicht erstaunen, doch die Redensart Wer zuerst kommt, mahlt zuerst hat rein gar nichts mit Malbüchern für Erwachsene und auch nicht mit den mehr oder weniger überzeugenden Kritzeleien Ihres Nachwuchses zu tun. Es geht schlicht und einfach ums Mahlen. Genauer: um das Mahlen von Mehl. Und ganz genau: Um eine Art gesetzliche Regelung des Mittelalters, in der das Mahlen von Mehl in der Mühlenordnung festgelegt war. Dementsprechend schreiben Sie bitte nicht malen, sondern mahlen - mit h. Dankeschön.

Foto: wortfeiler | Barbara Piontek

 

Der Sachsenspiegel: von der Kürze in die Länge


Falls Sie mehr wissen möchten, lesen Sie nun weiter. Die Redewendung ist kein sinnfreier Spruch, keine Bauernregel, keine christliche Belehrung - dahinter steckt etwas. Nämlich der Sachsenspiegel, der zwischen 1220 und 1235 entstand und das älteste Rechtsbuch ist, das wir haben. Vielleicht gab es ältere Aufzeichnungen, aber die haben wir leider nicht mehr, ergo:

Der Sachsenspiegel wurde von Eike von Repgow, der mit seiner Familie in Reppichau als Vasall der Erzbischöfe von Magdeburg lebte, geschrieben. (Wie und warum es die Repgows als Ostfalen aus Niedersachsen in die Provinz nach Sachsen-Anhalt verschlug, nun, das könnte prosaische Ursachen haben oder eine interessante Geschichte mit sich bringen - ich weiß es leider nicht.) Der Sachsenspiegel beruht (sehr wahrscheinlich) auf einem lateinischen Werk namens Auctor vetus de beneficiis und wir gehen davon aus, er wurde im Auftrag (von Kirche und/oder Adel) geschrieben und auch nicht alleine von Eike von Repgow. Im Sachsenspiegel geht es um Landrecht und Lehnrecht.

Der Sachsenspiegel ist eine ganz tolle Sache. Er ist nämlich nicht nur sehr alt, es handelt sich dabei auch um die erste Prosaliteratur, die in Mittelniederdeutsch verfasst wurde. (Weil wir nicht wissen, ob es davor noch etwas gab, gehen wir davon aus, es ist so.) Die Sache mit der Schriftlichkeit ist auch wichtig zu erwähnen, denn - aus welchen Gründen auch immer - war mittelalterliches Recht ein Gewohnheitsrecht, das mündlich überliefert wurde. Der Sachsenspiegel war so beliebt und erfolgreich, das er eine sehr große Verbreitung erfuhr, z. B. bis in die Niederlande, ins Baltikum, als Vorlage für andere Rechtsbücher galt und bis ins 19. Jahrhundert angewendet und verwendet wurde.

Regeln über Regeln und eine Mühlenordnung


Eine der vielen Regelungen des Sachsenspiegels ist die Mühlenordnung. Müller war kein sonderlich ehrbarer Berufsstand, sie standen stetig im Verdacht falsch zu wiegen, zu messen und zu rechnen. Und weil das schlecht fürs Geschäft war, und die Landesherren sich nicht dauernd Beschwerden anhören mochten und Geld verdienen wollten, kam ihnen die Mühlenordnung sehr recht. Jedenfalls findet sich in dieser Ordnung der denkwürdige Satz: Die ok irst to der molen kumt, die sal erst malen. Heute heißt er: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Dennoch stammt genau dieses Sprichwort aus dem Anfang des 13. Jahrhunderts, aus dem Sachsenspiegel und der Mühlenordnung. 

Und wenn Sie nun doch etwas neugierig geworden sind und einen Blick in den Sachsenspiegel werfen möchten, so können Sie das problemlos und einfach: Der digitalisierte Sachsenspiegel steht für Sie bereit. Aber natürlich nur, wenn Sie in Zukunft Wer zuerst kommt, mahlt zuerst mit h schreiben.

Donnerstag, 7. April 2016

malbücher für erwachsene: linientreue affirmation.

Trends zu folgen ist mir fremd. Woran das liegt, dazu können Theorien bemüht und mir wilde Ideen um die Ohren gehauen werden. Was alle gerade und jetzt machen, oder demnächst machen wollen, sollen, werden und können, nun, das geht an mir vorbei. Daher ist es keine Überraschung, dass ich erst in den letzten Wochen auf ein Phänomen stieß, das mich weiterhin erstaunt: 

Verlage jubilieren, Schreibwarenhändler (so es sie noch gibt) wundern sich über leere Regale und Stifthersteller machen Überstunden - Malbücher für Erwachsene sind der Grund. Natürlich hat der Trend nicht einen so banalen Namen, Adult Coloring lautet die korrekte, trendige Bezeichnung des Hobbys für jedermann. Und es ist eine ernste Sache, die mit Hingabe, Vehemenz und Akribie betrieben wird. Schließlich werden weitreichende Entscheidungen getroffen! Welches Rot oder doch lieber Lila? Oh, wahrscheinlich ist das mein Kardinalfehler: Bestimmt geht es um Farben, die Mauve oder Schlamm heißen. Die Qual der Wahl aus dem eigenen Sortiment der 140 Buntstifte hat schließlich weitreichende Folgen. 

Stifte raus!

 

Theorie ist eine Sache, Praxis die andere. (Und nicht der klingonische Mond.) Also habe ich es getan. Die Buntstifte rausgekramt, Anspitzer und Radiergummi ebenfalls und frisch ans Werk. Vielleicht waren die Ausgangsvoraussetzungen ein wenig unfair, denn ein Malbuch habe ich nicht gekauft, lediglich einen Auszug aus einem ausgedruckt. Stifte habe ich auch nicht gekauft, sondern genommen, was da war, wobei das vielleicht den Eventcharakter schmälert. Möglicherweise habe ich mir nicht ausreichend Mühe gegeben und hätte Schattierungen und Verwischungen einbauen sollen und bestimmt habe ich nicht den notwendigen Ernst an den Tag gelegt. Aber, he, ich habe es getan! 

Und weil ich gelesen habe, dass eigene Werke präsentiert werden sollen, hier ist es: 


Das Erlebnis, nun, es ist eher unbefriedigend. Die Entspannung ließ trotz des Zeitaufwandes und der Gestaltung des passenden, reizarmen Umfeldes auf sich warten. Im Gegenteil, mein Nacken verspannte sich und eigentlich wollte ich die Vorlage dauernd verändern, ergänzen und ganz anders machen. Auch das Drama um die adäquate Auswahl der passenden Farbe blieb aus. Ich fühlte mich dauernd in Grenzen, bzw. Linien verwiesen, die ich einzuhalten habe. Begrenzungen und Einschränkungen, dabei soll ich mich doch entspannen, kreativ sein und mich beglückt wohlfühlen. Jetzt und sofort. 

Warum wirkt es bei mir nicht.

 

Es ist halt kein Zeichenkurs. Es ist kontrollierte Schmalspurkreativität, die für manche, (wie es aussieht) sogar viele Menschen funktioniert. Sie fühlen sich bestätigt, kreativ und das größte Risiko besteht im Übertreten der vorgegebenen Linien. Vorkenntnisse, Fähigkeiten, Übung, Talente - nichts ist erforderlich, es geht einfach los und funktioniert. Der schnelle Erfolg ist gegeben. Für jeden und alle. Es ist einfach, problemlos, bequem und man erschafft etwas mit den eigenen Händen. Der Mensch wird zum vermeintlichen Schöpfer. Nun, eher zur Light-Version des Schöpfers inklusive reduzierter Kreativität - und passt damit prima in die Wünsche und Bedürfnisse der Zeit.

Ja, mag der gewiefte Ausmaler nun sagen, Gestaltungstherapie und künstlerische Betätigung sind doch nachgewiesenermaßen erholsam für den Geist, entspannend für den Körper und machen glücklich. Ja, sage ich, aber Kunst machen und Kunst anschauen, so einfach ist es dann doch nicht, da sollte und müsste man differenzieren. Auch Vergleiche mit Mandalas und Buddhismus werden bemüht, hinken aber beträchtlich hinterher. Wobei ich dem Ausmalen eine gewisse psychologische (Aus-)Wirkung nicht einmal absprechen mag und will. Nur, bei mir funktioniert es nicht. 

Was bleibt.

 

Ein neues Malbuch steht gleichbedeutend mit neuen Motiven und neuen Stiften, praktischerweise gibt es Bücher und Stifte als Bündel - und die Händler frohlocken, denn genau das ist der Punkt des Hypes: Es lässt sich Geld verdienen. Eine Menge Geld. Und ein Ende ist nicht in Sicht.

Ich für meinen Teil habe meine vielen Kohle-, Graphit- und Bleistifte in unterschiedlichen Härtegraden und Stärken gefunden. Und die werde ich nutzen. Ohne Vorgaben und Linien. Auf jungfräulich leerem Papier. Es hat doch etwas gebracht, das Experiment Malbücher für Erwachsene, nur nicht wie vorgesehen.