Freitag, 8. Januar 2010

Woanders is auch scheiße.

Die Tina und ich, wir teilen dies und das und manchmal auch jenes, aber heute haben wir den Vogel abgeschossen. Unabhängig voneinander schruben wir zum Thema Kulturhauptstadt Ruhr. Is ja ein Dingen! Wobei wir zumindest verschiedene Quellen gelesen haben.

Der von ihr zitierte Zeit-Artikel gefällt mir aber so gut und spricht mir richtig aus der Seele, dass ich dazu auch noch meinen Senf geben muss. Der Autor des erfrischenden Beitrags ist Frank Goosen, der vielleicht in Zukunft eine Art Nachbar von mir wird, weiß ich doch, wo er wohnt. Was nebenbei recht witzig wäre, habe ich doch damals, als die Gummistiefel noch aus Holz waren und Frank Goosen eine Lokalgröße, seine damalige Mietwohnung auf der Suche nach einem neuen Zuhause besichtigt. Seitdem mag ich Frank Goosen noch viel mehr, denn er ist nicht nur ein kluger, witziger Kopf, der wunderbare Bücher schreibt und dessen Auftritte mir viel Freude machen, nee, der steht auf StarTrek und hatte, jedenfalls damals, eine Sammlung, die mein Herz frohlocken ließ. Und wat is aus dem Mann für eine Berühmtheit geworden. Klasse und guter Geschmack hauen halt durch.

Und wie Frank Goosen das nun mal draufhat, beschreibt er mit wohlgewählten Worten uns, die Revierler, die Menschen im schönen Ruhrpott. Und ich finde mich wieder. Da erwähnt er den für Fremde manchmal befremdlichen Umgang mit der deutschen Sprache, der auch schon den ein oder anderen Kunden von mir belustigte, wenn ich dann einfach mal sage: Das ist aber scheiße, Schätzken. Sei´s drum, hier nimmt mir das keiner krumm, wenn ich ihn mit Pissnelke anspreche und das ist genau das, was den Pott ausmacht: Wir sind direkt, offen und ehrlich. Da braucht man keine Schleifchen, da weisse wo Du dran bis.

Und das Büdchen. Anne Bude krisse allet, inklusive Zuwendung und Fürsorge. Anne Bude hat man immer Zeit für Dich und eine ist sowieso immer umme Ecke. Wo ich in Hamburg anne Tanke musste und die Welt mir seltsam fremd erschien, kann ich im Ruhrgebiet sicher sein, irgendeine Bude ist in der Nähe und versorgt mich.

Und das Essen. Natürlich aß man bei Omma und Oppa und da gab es Gerichte, die es zu Hause nicht gab. Wobei Frank Goosen ja eigentlich den Kappes vergessen hat. Weißkohl, Grünkohl, Wirsing. Es gibt kaum eine Familie, die nicht gerade ein Rezept für irgendeine Kappes-Variation kochte und dessen Düfte durch das Treppenhaus zogen. Zitat aus der Zeit: Der Gestank zog durch die ganze Wohnung, das ganze Haus. Es gibt Häuser, die sind abgerissen worden, weil man den Odem zehntausendfach verkochten Blumenkohls nicht aus den Wänden hatte bringen können.

Und der Alkohol. Pilsken gibt es hier an jeder Ecke, aber bitte frisch gezapft. Oder ne Flasche vonner Bude. Kein schnöseliges Alt oder schlimmer, diesen Bierersatz namens Kölsch. Und nach dem Essen bei Omma und Oppa kam immer die Flasche Korn auf den Tisch; Medizin, sagte mein Oppa dazu und brachte mir im Grundschulalter gleich bei, wie man aus Korn, Zucker und einem Ei einen Eierlikör zaubert. Das ist Bildung, die man nicht vergisst.

Selbstgebrannter wurde von den Kollegen meines Vater im Chemielabor des Bochumer Vereins, heute Thyssen Krupp, großzügig hergestellt und ausgiebig getestet. Damals mussten die samstags auch noch ran, was sich heute kaum jemand vorstellen kann. Ich bin ziemlich sicher, die haben auch Wodka Wick-Blau probiert. Jedenfalls hatte das Zeug es immer böse in sich, brannte ein Loch in den Magen und machte einen schweren Kopf.

Bevor ich noch mehr Familiengeheimnisse ausplauder, die mich möglicherweise einen Kopf kürzer macht, lasse ich lieber noch mal Frank Goosen ran, der dem Nagel mitten auf den Kopf haut: 

Das Ruhrgebiet hat sich, im wahrsten Sinne des Wortes, das Recht erarbeitet, sich hemmungslos zu stilisieren und sich zu dem zu bekennen, was es einzigartig macht, nämlich eben die Arbeit. Zumindest die von früher.

Und wenn ihr dann alle wieder weg seid, dann stellen wir uns auf unsere Eisenbahnbrücken, schauen auf unsere Städte, freuen uns darüber, wie schön das Leben mit Abitur sein kann, und denken: »Nä, schön is dat nich. Abba meins!«

Oder wie es mein Oppa auszudrücken pflegte: »Ach, woanders is auch scheiße!« 

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